Die Bauaufsicht mit der Datenbrille
Mit Virtual Reality könnten Baupraktiker schneller Abweichungen vom Bausoll entlarven. Wiener Forscher erproben die Technologie schwerpunktmäßig für die Haustechnik.
Zimmertemperaturen von über 28 Grad: Die Juni-Rekordhitze heizte das Büro von Christian Schranz am Wiener Karlsplatz zu einem Backofen auf. Der TU-Bauinformatiker hielt trotzdem durch. Neid? Empfand er gegenüber seinen Kollegen des TU-Neubaus am Getreidemarkt nicht, auch wenn dort Lüftungs-, Klima- und Kältetechnik großzügiger verbaut ist. Ausgefeilte Gebäudetechnik liegt „nun einmal im Trend“, sagt Schranz. Und bietet – was ihn wiederum fasziniert – auch neuen digitalen Werkzeugen wie etwa Datenbrillen Einsatzmöglichkeiten.
Sein Forscherkollege Harald Urban hat dazu in einer vom Technologieministerium beauftragten Studie Genaueres ermittelt. Bei der Umsetzung digitaler Baustrategien seien die Skandinavier weiter, lautete eine Vermutung. Dem gingen die TU-Forscher 2017 in Stockholm und Helsinki auf den Grund. Ihr Fazit: Auch im Norden wird auf Baustellen noch vielfach der Papierplan gezückt. „In der Planungsphase, also etwa bei der Nutzung eines digitalen Gebäudemodells, ist man aber experimentierfreudiger“, sagt Schranz.
Jetzt ist der Eifer auch hierzulande geweckt. Bis Herbst 2020 stellt Schranz im von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG finanzierten Projekt „AR-AQ-Bau“den Einsatz von Augmented-Reality-Werkzeugen auf den Prüfstand. Solche virtuell ins Sichtfenster von Datenbrillen eingespielten Objekte – Vorschaubilder, Animationen, Texte oder kurze Tutorial-Videos – sollen auf der Baustelle mehr Tempo und Güte in der Bauausführung bringen.
US-Brillenhersteller an Bord
Zielgruppe einer solchen brillengestützten Lösung: Baupraktiker, die für die bautechnische, also noch nicht funktionelle Abnahme von Heizungs-, Lüftungs- oder Klimasystemen zuständig sind. Hierzulande ist das Aufgabe der örtlichen Bauaufsicht. Sie kontrolliert aufseiten des Bauherrn Kosten, Qualität, Termintreue. „Aber auch die genaue Positionierung eines Klimaaggregats“, erklärt Harald Urban, ebenfalls Bauinformatiker. An Bord des Projekts ist das Wiener Ingenieurbüro FCP und der US-Datenbrillenhersteller Daqri. Das Wiener Start-up Ariot entwickelt Algorithmen zur Abfrage des digitalen Gebäudemodells in der Datenbrille. Dort legt es sich maßstabsgetreu über das Echtbild. Auch für den automatischen Rückfluss von Daten ins Gebäudemodell schraubt Ariot an einer Schnittstelle. „Die braucht es, sobald der Praktiker Abwei
von 407 befragten Akteuren der Bauindustrie sehen Digitalisierungsbedarf in der Bauausführung. Das geht aus einer vom Technologieministerium beauftragten Studie hervor.
aller befragten bauausführenden Unternehmen setzten 2017 noch kein durchgängig digitales Gebäudemodell ein. Aktuell werden virtuelle Montageanleitungen in Datenbrillen auf Baustellen erprobt. chungen vom Plan zu melden hat“, so Urban.
Experte schaltet sich zu
Denn: Mitunter rückt der Elektriker an „und sieht, dass schon Leitungen verlegt sind“, heißt es im Projekt. Ein falsch gesetzter Wanddurchbruch oder ein abenteuerlich verlaufender Leitungsschacht sind ebenfalls Fehler, die passieren. Mit der Datenbrille soll der Praktiker bei der Begehung per Handcontroller oder Gestenerkennung – also einem Fingerzeig – seine Kommentare in die virtuelle Welt übertragen. Ebenfalls in Erprobung: Die Zuschaltung eines Experten übers Funk- oder Rechnernetz. „Um im virtuellen 3-D-Bild Markierungen oder Pfeile zu setzen“, heißt es an der TU.
Davor braucht es zwingend die Verortung der Brille im Raum. GPS scheidet in Innenräumen dafür aus. Mit den brilleneigenen optischen Sensoren lässt sich allerdings schon einiges anstellen, wie Tests im Frühjahr zeigten. In Bruck an der Leitha wird soeben eine neue Autobahnmeisterei errichtet. „Dort war die Verschraubung der weißen Gipskartonwände als Bezugspunkt für die Sensoren ausreichend“, fand TU-Forscher Christian Schranz heraus.
Laserlicht zur Verortung
Für den Fall, dass eindeutige optische Reize in einem Rohbau komplett fehlen, entwickelt der Wiener TU-Informatiker Hannes Kaufmann einen mobilen Laserprojektor. Dieser soll mit seinen einhundert Minispiegeln ein Punktmuster zur Verortung auf Baustellen in den Raum projizieren. „Das Ganze stabil und sicher hinzukriegen ist die Herausforderung“, sagt Kaufmann. Tests laufen ab Herbst auch an einem Standort in Wien Landstraße – und zwar im Neubau des Institutsgebäudes der Musikuni Wien. Dort ist Exaktheit in der Ausführung nicht verhandelbar. „Die schalltechnische Entkopplung der Gebäudetechnik ist ein Riesenthema“, sagt Schranz.