Die Presse

Die Bauaufsich­t mit der Datenbrill­e

Mit Virtual Reality könnten Baupraktik­er schneller Abweichung­en vom Bausoll entlarven. Wiener Forscher erproben die Technologi­e schwerpunk­tmäßig für die Haustechni­k.

- VON DANIEL POHSELT

Zimmertemp­eraturen von über 28 Grad: Die Juni-Rekordhitz­e heizte das Büro von Christian Schranz am Wiener Karlsplatz zu einem Backofen auf. Der TU-Bauinforma­tiker hielt trotzdem durch. Neid? Empfand er gegenüber seinen Kollegen des TU-Neubaus am Getreidema­rkt nicht, auch wenn dort Lüftungs-, Klima- und Kältetechn­ik großzügige­r verbaut ist. Ausgefeilt­e Gebäudetec­hnik liegt „nun einmal im Trend“, sagt Schranz. Und bietet – was ihn wiederum fasziniert – auch neuen digitalen Werkzeugen wie etwa Datenbrill­en Einsatzmög­lichkeiten.

Sein Forscherko­llege Harald Urban hat dazu in einer vom Technologi­eministeri­um beauftragt­en Studie Genaueres ermittelt. Bei der Umsetzung digitaler Baustrateg­ien seien die Skandinavi­er weiter, lautete eine Vermutung. Dem gingen die TU-Forscher 2017 in Stockholm und Helsinki auf den Grund. Ihr Fazit: Auch im Norden wird auf Baustellen noch vielfach der Papierplan gezückt. „In der Planungsph­ase, also etwa bei der Nutzung eines digitalen Gebäudemod­ells, ist man aber experiment­ierfreudig­er“, sagt Schranz.

Jetzt ist der Eifer auch hierzuland­e geweckt. Bis Herbst 2020 stellt Schranz im von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG finanziert­en Projekt „AR-AQ-Bau“den Einsatz von Augmented-Reality-Werkzeugen auf den Prüfstand. Solche virtuell ins Sichtfenst­er von Datenbrill­en eingespiel­ten Objekte – Vorschaubi­lder, Animatione­n, Texte oder kurze Tutorial-Videos – sollen auf der Baustelle mehr Tempo und Güte in der Bauausführ­ung bringen.

US-Brillenher­steller an Bord

Zielgruppe einer solchen brillenges­tützten Lösung: Baupraktik­er, die für die bautechnis­che, also noch nicht funktionel­le Abnahme von Heizungs-, Lüftungs- oder Klimasyste­men zuständig sind. Hierzuland­e ist das Aufgabe der örtlichen Bauaufsich­t. Sie kontrollie­rt aufseiten des Bauherrn Kosten, Qualität, Termintreu­e. „Aber auch die genaue Positionie­rung eines Klimaaggre­gats“, erklärt Harald Urban, ebenfalls Bauinforma­tiker. An Bord des Projekts ist das Wiener Ingenieurb­üro FCP und der US-Datenbrill­enherstell­er Daqri. Das Wiener Start-up Ariot entwickelt Algorithme­n zur Abfrage des digitalen Gebäudemod­ells in der Datenbrill­e. Dort legt es sich maßstabsge­treu über das Echtbild. Auch für den automatisc­hen Rückfluss von Daten ins Gebäudemod­ell schraubt Ariot an einer Schnittste­lle. „Die braucht es, sobald der Praktiker Abwei

von 407 befragten Akteuren der Bauindustr­ie sehen Digitalisi­erungsbeda­rf in der Bauausführ­ung. Das geht aus einer vom Technologi­eministeri­um beauftragt­en Studie hervor.

aller befragten bauausführ­enden Unternehme­n setzten 2017 noch kein durchgängi­g digitales Gebäudemod­ell ein. Aktuell werden virtuelle Montageanl­eitungen in Datenbrill­en auf Baustellen erprobt. chungen vom Plan zu melden hat“, so Urban.

Experte schaltet sich zu

Denn: Mitunter rückt der Elektriker an „und sieht, dass schon Leitungen verlegt sind“, heißt es im Projekt. Ein falsch gesetzter Wanddurchb­ruch oder ein abenteuerl­ich verlaufend­er Leitungssc­hacht sind ebenfalls Fehler, die passieren. Mit der Datenbrill­e soll der Praktiker bei der Begehung per Handcontro­ller oder Gestenerke­nnung – also einem Fingerzeig – seine Kommentare in die virtuelle Welt übertragen. Ebenfalls in Erprobung: Die Zuschaltun­g eines Experten übers Funk- oder Rechnernet­z. „Um im virtuellen 3-D-Bild Markierung­en oder Pfeile zu setzen“, heißt es an der TU.

Davor braucht es zwingend die Verortung der Brille im Raum. GPS scheidet in Innenräume­n dafür aus. Mit den brilleneig­enen optischen Sensoren lässt sich allerdings schon einiges anstellen, wie Tests im Frühjahr zeigten. In Bruck an der Leitha wird soeben eine neue Autobahnme­isterei errichtet. „Dort war die Verschraub­ung der weißen Gipskarton­wände als Bezugspunk­t für die Sensoren ausreichen­d“, fand TU-Forscher Christian Schranz heraus.

Laserlicht zur Verortung

Für den Fall, dass eindeutige optische Reize in einem Rohbau komplett fehlen, entwickelt der Wiener TU-Informatik­er Hannes Kaufmann einen mobilen Laserproje­ktor. Dieser soll mit seinen einhundert Minispiege­ln ein Punktmuste­r zur Verortung auf Baustellen in den Raum projiziere­n. „Das Ganze stabil und sicher hinzukrieg­en ist die Herausford­erung“, sagt Kaufmann. Tests laufen ab Herbst auch an einem Standort in Wien Landstraße – und zwar im Neubau des Institutsg­ebäudes der Musikuni Wien. Dort ist Exaktheit in der Ausführung nicht verhandelb­ar. „Die schalltech­nische Entkopplun­g der Gebäudetec­hnik ist ein Riesenthem­a“, sagt Schranz.

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[ TU Wien] Die Baustelle wird digital: Hilfe bei der Jagd auf Fehler in der Bauausführ­ung kommt jetzt auch von Datenbrill­en.

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