Wohnung zu klein? Dann bauen Sie doch virtuell aus!

(c) EPA (HANNIBAL HANSCHKE)
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Durch das Ausnutzen von Eigenheiten der menschlichen Wahrnehmung konnten Virtual-Reality- Forscher der TU Wien beinah endlos große Räume konstruieren.

Das eine oder andere Gerät – Neudeutsch „Tool“ –, das auf dem Raumschiff Enterprise nicht wegzudenken ist, hat längst in unseren Erdenalltag Einzug gehalten. Da wäre etwa das Bluetooth-Headset, ähnlich dem Gerät, das Lt. Uhura vornehmlich im Ohr trägt, oder das bereits überholte Klapphandy, das wiederum dem „Enterprise Communicator“ in nichts nachsteht. Und die Chancen stehen gut, dass wir unsere Freizeit künftig auf Holodecks verbringen werden.


Veränderungsblind. Wissenschaftler vom Institut für Softwaretechnik und interaktive Systeme der Technischen Universität Wien arbeiten zusammen mit dem Mixed Reality Lab des USC Institute for Creative Technologies in Los Angeles daran, dass unsere Erdenwohnungen schon bald in virtuelle Realitäten verwandelt werden können. Bei den gestiegenen Quadratmeterpreisen ein attraktiver Gedanke. Erste Tests wurden bereits in einem neun mal neun Meter großen Versuchsraum im Labor in Los Angeles durchgeführt. Dabei erleben die Testpersonen mit einem „headmounted display“ ein sogenanntes „virtual environment“.

Die Idee des Projektes, das im Rahmen der „Vienna PhD School of Informatics“ durchgeführt wurde, ist es, den Raum zu erweitern. Die virtuelle Umgebung besteht aus Zimmern und Gängen, die von einem Computer erschaffen werden. Diese sind auf eine Weise angelegt, dass die Testpersonen in einem scheinbar viel größeren Raum spazieren gehen, als dieser es tatsächlich ist. „Jedes unserer virtuellen Zimmer hat vier Türen, die jeweils über einen Korridor zu einem weiteren Zimmer führen“, erläutert Projektleiter Hannes Kaufmann. Die geometrische Lage der Räume und Gänge ist nicht festgelegt – diese hängt davon ab, durch welche Tür die Person geht. Welche Zimmer miteinander verbunden sind, ist anfangs jedoch vorgegeben. Dass die Zimmer im virtuellen Raum überlappen können, fällt nicht auf, weil die Konzentration auf die scheinbare Welt und deren Inhalte gerichtet ist.

Die Gänge sind jedenfalls so angeordnet, dass die Person jedes Mal zweimal abbiegen muss, um in das nächste Zimmer zu gelangen. Dieses Phänomen wird „change blindness“ (Veränderungsblindheit) genannt. Dabei werden kleine Änderungen im Raum außerhalb des Blickfelds vom Betrachter nicht bemerkt, weil die Aufmerksamkeit auf etwas anderes, etwa auf Objekte im Raum, gerichtet ist, und nicht auf die Anordnung der Räume.

Auf diesem Weg können „flexible Räume“ erzeugt werden, die ein scheinbar unendliches Umherwandern in virtuellen Welten ermöglichen – ohne Rücksicht auf die reale Umgebung. Durch die Überlappung der Räume können Einschränkungen wie die Größe eines Raumes überwunden werden. Die Testperson wird im realen Raum vom Computer verfolgt, um zu verhindern, dass sie mit Grenzen der realen Welt (Mauern) kollidiert.

Im Unterschied zum Holodeck auf dem Raumschiff Enterprise können die bisher dargestellten Umgebungen und Gegenstände aber nur visuell und nicht etwa akustisch oder haptisch wahrgenommen werden. Es gibt jedoch bereits Überlegungen zu von der Decke hängenden Roboterarmen, die der Person Gegenstände entgegenhalten. Nachgedacht wird auch über Geruchsgeräte, die die Testperson um den Hals trägt und auf Knopfdruck einen speziellen Geruch versprühen.


Museen und Trainings. Dem tatsächlichen Einsatz dieser virtuellen Umgebung scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Diskutiert wird über die Nutzung für virtuelle Museen, in der Unterhaltungsindustrie oder in Trainingssituationen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Anwendung in der Rehabilitation von Patienten, die bisher in mühevollen Übungen auf dem Laufband ihren natürlichen Gang wiedererlernen und üben mussten. Auch privat wäre eine Nutzung möglich – und hier könnte uns diese Technik Abwechslung verschaffen, damit uns die reale Decke nicht auf den Kopf fällt. Zumindest solange wir nicht „beamen“ können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2013)

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